© Sam Jackson 2023

LESEPROBE VON GNADENSCHUSS IM FEUERREGEN

»Und das alles an einem Dienstag.«
CHRIS RHODES

Vor dem Ortsschild gaben meine Beine nach. Meine Knie sanken in den Sand ein, sofort weitete sich seine Hitze auf den Stoff meiner Hose aus, versengte mir die Haut. Ich legte den Kopf in den Nacken und schirmte die Sonnenstrahlen mit einer Hand ab. Schweißtropfen rannen mir von der Stirn über die Brauen direkt in die Augen. Um die Lettern auf dem Schild entziffern zu können, blinzelte ich gegen das gleißende Licht und die brennenden Schlieren an: Ein großes vergilbtes »C« links und ein kleines »O« rechts. Die restlichen Buchstaben und das ausgeblichene Grün im Hintergrund waren den Rostflecken zum Opfer gefallen.

Mit gemischten Gefühlen ließ ich meinen Blick zu der Stadt dahinter schweifen. Unterhalb der Anhöhe, auf der ich kniete, erstreckte sie sich bis zum Horizont. Es war ein ganz schön trostloser Anblick, aber allemal besser als eine Fata Morgana. Einst musste der aus verbogenen Stahlkonstruktionen und eingestürzten Betonbauten bestehende Trümmerhaufen eine beeindruckende Skyline abgegeben haben. Nun ragte das, was von den Hochhäusern übrig geblieben war, ausgehöhlt und skelettartig zum wolkenlosen Himmel empor.

Als ich mich erheben wollte, schoss ein stechender Schmerz in meine Schläfen, und wieder tauchte das Autoradio vor meinem inneren Auge auf.

Das sumpfgrüne Display zeigte »I'M AFRAID OF« an. Für den ganzen Titel war der Bildschirm zu klein, aber das hinderte das Lied nicht daran, seine Endlosschleife fortzusetzen. Zumindest, bis der Sandsturm wie aus dem Nichts herangerast war. Ein Wimpernschlag, und die dichte, orangerote Wand warf den Geländewagen um, an dessen Steuer ich saß. Rauschen trat an die Stelle von der Musik, dann ein unerträglich hohes Fiepen.

Nach Stunden, Tagen, vielleicht Wochen, hatten sich die Liedzeilen in mein Hirn eingebrannt wie die Sonne auf meiner Haut. Hatte ich nun den Namen Johnny und das Verlangen nach einer Dose Cola von dem letzten abgespielten Lied aufgeschnappt oder hörte ich wirklich auf Ersteres und dürstete nach Letzterem? Ich sah an mir herunter: weißes Achselshirt, sandfarbene Cargohose und feste Stiefel in der gleichen Farbe. Breite Brust und sehnige Arme mit einem Teint, der förmlich nach After-Sun-Lotion schrie. Sieht nach 'nem Typen wie Johnny aus. Dazu passten auch die kurzen, juckenden Haare und Bartstoppeln, aus denen sich einzelne Sandkörner lösten, als ich darüber strich.

Meine Lippen waren rissig und meine Kehle kurz vor dem Austrocknen. Gibt's denn irgendwen, der in der Wüste keinen Durst hat? Neben dem staubtrockenen Klima in meinem Mund hatte ich einen komischen Geschmack auf der Zunge. Er war bitter und metallisch. Für den Bruchteil einer Sekunde tat sich ein anderes Bild vor meinem inneren Auge auf. Eine Glasphiole mit einer unnatürlich blauen Flüssigkeit.

Hatte ich das Zeug etwa getrunken? War das der Grund, warum mein Gedächtnis gewisse Lücken aufwies? Warum ich mich nicht daran erinnern konnte, was mich außer dem Namen Johnny noch ausmachte zum Beispiel, und was meinen Aufenthalt hier irgendwo im Nirgendwo anging. Oder hatte ich mir den Kopf gestoßen und womöglich eine Gehirnerschütterung? War es ein Schleudertrauma? Aber das lässt einen nicht die eigene Identität einfach so vergessen, oder etwa doch? Ein Hitzschlag mit fiesen Halluzinationen, die mir diesen zusammenhangslosen Mist vorgaukelten?

Was auch immer schuld war, die Fragen blieben: Wer war ich? Was wollte ich hier? Und wo zum Teufel war ich überhaupt?

[...]

Aus dem mit Spinnweben benetzten Marmeladenglas fischte ich eine Fünf-Cent-Münze und steckte sie in den Münzschlitz der Jukebox. Da alle Titel verblasst waren, drückte ich irgendeinen von den insgesamt vierundzwanzig Knöpfen. Während sich der Mechanismus in Gang setzte, schlenderte ich zum Tresen zurück. Dort stellte ich das Marmeladenglas ab und wollte mir gerade einen Bourbon einschenken, als mit einem unverkennbaren Gitarrensolo, kratzig und in typischem Rock'n'Roll Sound »Johnny B. Goode« aus dem Lautsprecher schallte.

Türkisblaues Wasser, das an einen hellen Sandstrand gespült wurde. Palmen, die angenehmen Schatten spendeten. Überwiegend Leute in ihren Zwanzigern, die in knappen Bikinis und bunten Badeshorts in der Sonne brutzelten, in den Wellen planschten oder sich schon vor der Happy Hour die Kante gaben. Ein Radio, das von der Promenade aus mit genau diesem Lied die ausgelassene Szene untermalte. Und ich mittendrin. Damals war ich noch ein Student gewesen, der seine Semesterferien fernab von Zuhause voll und ganz ausgekostet hatte. Mit dem Kopf wippte ich zum Takt.

Chuck Berrys Einsatz ließ mich jedoch stirnrunzelnd innehalten.

Moment mal … Louisiana … New Orleans …

Ich riss die Augen auf und schnappte nach Luft.

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Sam Jackson / (Dark) Fantasy | Horror | Thriller — Autorin / Alle Rechte vorbehalten
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